Der Plötz­li­che Säug­lings­tod (SIDS)

Defi­ni­ti­on

Unter dem Plötz­li­chen Säug­lings­tod ver­steht man defi­ni­ti­ons­ge­mäß den plötz­li­chen und uner­war­te­ten Tod eines Kin­des, der sich weder aus der Ana­mne­se noch aus der Obduk­ti­on erklä­ren läßt. Die aus dem ang­lo-ame­ri­ka­ni­schen Sprach­raum stam­men­de Abkür­zung „SIDS” für Sud­den Infant Death Syn­dro­me hat sich inter­na­tio­nal als Bezeich­nung für das beschrie­be­ne Phä­no­men durch­ge­setzt. Gemäß der Defi­ni­ti­on der zwei­ten inter­na­tio­na­len Kon­fe­renz in Seat­tle im Jah­re 1969 [Berg­mann 1970] ver­steht man unter SIDS:

The sud­den death of any infant or young child which is unex­pec­ted by histo­ry, and in which a tho­rough post-mor­tem exami­na­ti­on fails to demons­tra­te an ade­qua­te cau­se of death.

Zur Abgren­zung von plötz­li­chen Todes­fäl­len im höhe­ren Lebens­al­ter wur­de die­se Defi­ni­ti­on 1993 auf der 13. Tagung der Inter­na­tio­nal Asso­cia­ti­on of Foren­sic Sci­en­ces in Düs­sel­dorf erwei­tert um den Zusatz:

Sud­den death in infan­cy occur­ring in clo­se tem­po­ral asso­cia­ti­on with sleep and lack­ing expl­ana­ti­on after post-mor­tem inves­ti­ga­ti­on.

Die meis­ten Autoren bezie­hen alle SIDS-Fäl­le im Alter von acht Tagen bis zur Voll­endung des ers­ten Lebens­jah­res in ihre Unter­su­chun­gen ein, wenn auch von eini­gen For­scher­grup­pen älte­re Kin­der bis zur Voll­endung des zwei­ten oder drit­ten Lebens­jah­res unter dem Begriff SIDS sub­su­miert wer­den. Allen Fäl­len gemein­sam ist jedoch eine lee­re Ana­mne­se und eine uner­gie­bi­ge Obduk­ti­on. Damit wird das SIDS zur Ausschlußdiagnose.

Geschicht­li­cher Hintergrund

Plötz­li­che und uner­war­te­te Todes­fäl­le im Kin­des­al­ter sind bereits his­to­risch über­lie­fert. Ers­te schrift­li­che Auf­zeich­nun­gen, die mög­li­cher­wei­se im Zusam­men­hang mit dem SIDS ste­hen, sind z. B. in der Bibel zu fin­den. Als sieb­te und schlimms­te Pla­ge, die zur Zeit des Aus­zugs der Israe­li­ten aus Ägyp­ten über den Pha­rao und sein Land kam, ist der Tod sämt­li­cher Erst­ge­bo­re­ner genannt. An ande­rer Stel­le wird über das Erdrü­cken von Säug­lin­gen durch deren Müt­ter im Schlaf berich­tet. Im frü­hen Mit­tel­al­ter wur­de in eini­gen kirch­li­chen Dekre­ten das Delikt der oppres­sio infan­tum, das unbe­ab­sich­tig­te Ersti­cken von Klein­kin­dern im Schlaf, erwähnt [Arnold 1991]. Als medi­zi­ni­sche Erklä­rungs­ver­su­che des Phä­no­mens SIDS wur­de vom 17. bis ins 19. Jahr­hun­dert ein Ersti­cken auf­grund eines ver­grö­ßer­ten Thy­mus pos­tu­liert, was als Asth­ma thy­mi­cum und spä­ter als Teil­sym­ptom einer kom­ple­xen Ent­wick­lungs­stö­rung „lympha­tisch-chlo­ro­ti­scher Natur” [Palt­hauf 1890] erklärt wur­de. Im frü­hen 20. Jahr­hun­dert bis in die 1920er Jah­re wur­den des­halb bei Kin­dern pro­phy­lak­ti­sche Rönt­gen­be­strah­lun­gen des Thy­mus’ durch­ge­führt [Fran­cio­si 1983].

Mit der Abnah­me ande­rer früh­kind­li­cher Todes­ur­sa­chen seit den 1950er und 1960er Jah­ren nahm das Inter­es­se am Plötz­li­chen Säug­lings­tod immer mehr zu. So kam es 1963 zu einer ers­ten inter­na­tio­na­len Kon­fe­renz über die Ursa­chen des Plötz­li­chen Säug­lings­to­des in Seat­tle, WA (USA). Der zuneh­men­den Bedeu­tung des SIDS trug auch die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on WHO durch die Zuwei­sung der Code­num­mer 798.0 anläß­lich der 9. Revi­si­on des ICD im Jah­re 1979 Rechnung.

Bis Ende der 1970er Jah­re ent­stan­den mehr als 100 Hypo­the­sen zur Erklä­rung des SIDS, wovon jedoch kei­ne in jeder Hin­sicht über­zeu­gen konn­te [Arnon 1984]. In den letz­ten Jah­ren sind die meis­ten Unter­su­cher zu dem Schluß gekom­men, daß SIDS eine mul­ti­fak­to­ri­el­le Gene­se auf­weist und wahr­schein­lich ein Sam­mel­be­griff für meh­re­re, heu­te noch nicht geklär­te patho­lo­gi­sche Pro­zes­se mit dem gemein­sa­men fina­len Bild des Plötz­li­chen Säug­lings­to­des ist.

Häu­fig­keit

Seit Auf­nah­me des SIDS in den ICD wer­den Zah­len zum Plötz­li­chen Säug­lings­tod in der jähr­li­chen Todes­ur­sa­chen­sta­tis­tik ver­öf­fent­licht. Über das der Mor­ta­li­täts­sta­tis­tik gene­rell eige­ne Vali­di­täts­pro­blem hin­aus bestehen beim SIDS beson­de­re Unsi­cher­hei­ten dadurch, daß es in Deutsch­land und eini­gen ande­ren Län­dern als „natür­li­che Todes­ur­sa­che” auf dem Lei­chen­schauschein ver­merkt wer­den kann. Da bei natür­li­chen Todes­fäl­len eine Obduk­ti­on nicht erfolgt, besteht hier ein Wider­spruch zur Defi­ni­ti­on des Plötz­li­chen Säug­lings­to­des mit der Fol­ge einer erhöh­ten Wahr­schein­lich­keit von falsch posi­ti­ven wie falsch nega­ti­ven Fehlklassifikationen.

Inter­na­tio­na­le Anga­ben zur Inzi­denz­ra­te des SIDS schwan­ken zwi­schen 0,3 pro 1000 Lebend­ge­bo­re­ne in Hong­kong [Lee 1989] und ca. 5 pro 1000 Lebend­ge­bo­re­ne für die schwar­ze Bevöl­ke­rung der USA [Black 1986]. Auf­grund aus­schließ­lich obdu­zier­ter Fäl­le schätz­te Klee­mann [Klee­mann 1989] die SIDS-Inzi­denz für Nie­der­sach­sen auf 1,1 bis 1,2 pro 1000 Lebend­ge­bur­ten. Auf Basis der Daten des Sta­tis­ti­schen Bun­des­am­tes kann für das Jahr 1992 bun­des­weit von einer geschätz­ten Inzi­denz­ra­te von ca. 1,33 pro 1000 Lebend­ge­bur­ten aus­ge­gan­gen wer­den. Aus den meis­ten west­li­chen Län­dern wird ein deut­li­cher Rück­gang der SIDS-Inzi­denz über die letz­ten Jah­re berichtet.

Risi­ko­fak­to­ren

Die erheb­li­chen epi­de­mio­lo­gi­schen For­schungs­an­stren­gun­gen, über­wie­gend mit den ana­ly­ti­schen Stu­di­en­de­signs der Kohor­ten- und Fall-Kon­troll-Stu­di­en, haben die Erkennt­nis­se zum Plötz­li­chen Säug­lings­tod sys­te­ma­ti­siert und erwei­tert. Danach ereig­nen sich die meis­ten SIDS-Fäl­le im zwei­ten bis vier­ten Lebens­mo­nat, Jun­gen sind häu­fi­ger betrof­fen als Mäd­chen, die Todes­fäl­le häu­fen sich in den Win­ter­mo­na­ten. Ein erhöh­tes SIDS-Risi­ko tra­gen unter­ge­wich­ti­ge bzw. früh­ge­bo­re­ne Kin­der, Kin­der von Müt­tern mit unzu­rei­chen­der Schwan­ger­schafts­über­wa­chung, Kin­der mit hoher Geschwis­ter­zahl und kur­zem Schwan­ger­schafts­in­ter­vall, Kin­der sozi­al benach­tei­lig­ter Müt­ter sowie Kin­der von Müt­tern, die wäh­rend der Schwan­ger­schaft geraucht hat­ten. Als Risi­ko­fak­to­ren für die Zeit nach der Schwan­ger­schaft gel­ten ins­be­son­de­re das Rau­chen in der Woh­nung, die Säug­lings­er­näh­rung ohne Mut­ter­milch und das Schla­fen in Bauch­la­ge. Auf drei der genann­ten Risi­ko­fak­to­ren soll im fol­gen­den durch kur­ze Beschrei­bung eige­ner Unter­su­chun­gen näher ein­ge­gan­gen werden.

Prä- und peri­na­ta­le Risikofaktoren

Als wesent­li­che Risi­ko­fak­to­ren wäh­rend der Schwan­ger­schaft gel­ten ins­be­son­de­re das Rau­chen und die man­geln­de Inan­spruch­nah­me von Vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen als gesi­chert. Wir führ­ten in den 1990er Jah­ren eine Fall-Kon­troll-Stu­die durch [Poets 1995, Schlaud 1996], in der Peri­na­tal­da­ten der Peri­na­to­lo­gi­schen Arbeits­ge­mein­schaft Nie­der­sach­sen (PAG) von 190 SIDS-Fäl­len mit denen von 5920 Kon­trol­len anonym ver­gli­chen wur­den. Die SIDS-Fäl­le waren zwi­schen 1986 und 1990 im Alter von min­des­tens sie­ben Tagen in Nie­der­sach­sen gestor­ben und durch Obduk­ti­on im Insti­tut für Rechts­me­di­zin der Medi­zi­ni­schen Hoch­schu­le Han­no­ver gesi­chert. Die Kon­troll­grup­pe bestand aus einer Zufalls­stich­pro­be von Daten­sät­zen der PAG, die fol­gen­den Bedin­gun­gen genü­gen muß­ten: (a) kein bekann­ter SIDS-Fall und (b) kei­ne doku­men­tier­te Gesund­heits­stö­rung, bei der die Siche­rung eines SIDS nicht ein­deu­tig mög­lich wäre. Die Ver­tei­lung der Geburts­jah­re der Kon­trol­le ent­spricht denen der Fäl­le (fre­quen­cy matching). Die Daten­aus­wer­tung erfolg­te mit­tels logis­ti­scher Regres­si­ons­ana­ly­se. Die so ermit­tel­ten Odds Rati­os sind Schät­zer des Rela­ti­ven Risi­kos. Das Rela­ti­ve Risi­ko gibt an, um wel­chen Fak­tor sich das SIDS-Risi­ko expo­nier­ter von dem nicht expo­nier­ter Kin­der unterscheidet.

Die Ergeb­nis­se sind in Tabel­le 1 wie­der­ge­ge­ben. Kin­der von Müt­tern, die in der Schwan­ger­schaft geraucht hat­ten, tra­gen das knapp 2,5‑fache SIDS-Risi­ko von Kin­dern, deren Müt­ter wäh­rend der Schwan­ger­schaft nicht geraucht hat­ten. Mit zuneh­men­dem durch­schnitt­li­chem Ziga­ret­ten­kon­sum pro Tag wäh­rend der Schwan­ger­schaft konn­te eine kon­sis­ten­te Zunah­me des rela­ti­ven Risi­kos für SIDS beob­ach­tet wer­den. Alle Ergeb­nis­se sind sta­tis­tisch signi­fi­kant und kon­trol­liert für Geburts­ge­wicht, Alter der Mut­ter, Sozi­al­schicht und Natio­na­li­tät. Auch eine nied­ri­ge­re Anzahl von Schwan­ger­schafts­vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen war mit einem erhöh­ten SIDS-Risi­ko asso­zi­iert: Gegen­über der Refe­renz­grup­pe von Kin­dern, deren Müt­ter mehr als acht Vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen wahr­ge­nom­men hat­ten, zeig­te sich nach vier bis acht Unter­su­chun­gen ein Rela­ti­ves Risi­ko von 1,6, und für null bis drei Schwan­ger­schafts­vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen betrug das Rela­ti­ve Risi­ko 2,9.

Tabel­le 1: Adjus­tier­te* Odds Rati­os (OR) und 95%- Kon­fi­denz­in­ter­val­le (95%CI) für den Zusam­men­hang zwi­schen müt­ter­li­chem Rau­chen in der Schwan­ger­schaft und Plötz­li­chem Säuglingstod.
Risi­ko­fak­tornOR95%CI
Rau­chen in der Schwangerschaftnein34001,0Refe­renz
ja13572,41,71−3,36
Durch­schnitt­li­cher Ziga­ret­ten­kon­sum pro Tag034001,0Refe­renz
1–109762,11,43−3,04
11–203372,81,75−4,60
> 20446,52,70−15,50
*) adjus­tiert für Geburts­ge­wicht, Alter der Mut­ter, Sozi­al­sta­tus, Nationalität

Ver­meid­ba­re Fälle

Aus dem Rela­ti­ven Risi­ko und der Prä­va­lenz des Risi­ko­fak­tors in der Bevöl­ke­rung kann das rela­ti­ve zuschreib­ba­re Risi­ko (Attri­bu­ta­ble Risk Per­cent, AR%) berech­net wer­den. Das AR% beschreibt den Anteil der SIDS-Inzi­denz, der auf den Risi­ko­fak­tor zurück­zu­füh­ren ist, mit­hin also ver­hin­dert wer­den könn­te, wür­de der Risi­ko­fak­tor eli­mi­niert. Das rela­ti­ve zuschreib­ba­re Risi­ko unter den Expo­nier­ten (AR%) und in der Bevöl­ke­rung (PAR%) ist in Tabel­le 2 wie­der­ge­ge­ben, wobei die Prä­va­lenz der Risi­ko­fak­to­ren unter den Kon­trol­len als vali­der Schät­zer der Prä­va­lenz in der Bevöl­ke­rung her­an­ge­zo­gen wur­de. Danach sind 58% der SIDS-Inzi­denz in der Grup­pe der rau­chen­den Müt­ter auf das Rau­chen zurück­zu­füh­ren und unter der Annah­me eines Kau­sal­zu­sam­men­hangs zu ver­hin­dern, wür­de in die­ser Sub­po­pu­la­ti­on wäh­rend der Schwan­ger­schaft nicht mehr geraucht. Bezo­gen auf die Gesamt­be­völ­ke­rung könn­ten nahe­zu 30% aller SIDS-Fäl­le ver­hin­dert wer­den, wenn kei­ne Schwan­ge­re mehr rau­chen wür­de. Bei geschätz­ten 750 SIDS-Fäl­len im Jah­re 1995 in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land wären also 210 Fäl­le zu ver­mei­den gewesen.

Tabel­le 2: Müt­ter­li­ches Rau­chen in der Schwan­ger­schaft, Anzahl Schwan­ger­schafts­vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen und Risi­ko des Plötz­li­chen Säug­lings­to­des: Odds Rati­os (OR), Prä­va­lenz (P) des Risi­ko­fak­tors, rela­ti­ves zuschreib­ba­res Risi­ko unter den Expo­nier­ten (AR%) und in der Bevöl­ke­rung (PAR%).
Risi­ko­fak­torORPAR%PAR%
Rau­chen in der Schwangerschaft*nein1,072,3%Ref.Ref.
ja2,727,7%58%28%
Anzahl Vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen**> 81,085,5%Ref.Ref.
0–81,714,5%41%10%
*) adjus­tiert für Geburts­ge­wicht, Alter der Mut­ter, Sozi­al­sta­tus, Natio­na­li­tät.
**) adjus­tiert für Geburts­ge­wicht, Alter der Mut­ter, Sozi­al­sta­tus, Natio­na­li­tät und Rau­chen in der Schwangerschaft.

Eben­falls unter der Annah­me eines kau­sa­len Zusam­men­hangs wären durch die Erhö­hung der Inan­spruch­nah­me von Schwan­ger­schafts­vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen auf über acht Unter­su­chun­gen in der Grup­pe von Frau­en mit man­geln­der Vor­sor­ge 41% der SIDS-Fäl­le zu ver­hin­dern, auf Bevöl­ke­rungs­ebe­ne immer­hin noch 10%. Eine Ver­rin­ge­rung der Prä­va­lenz jedes der unter­such­ten Risi­ko­fak­to­ren hät­te somit deut­li­che Aus­wir­kun­gen auf die Inzi­denz­ra­te des SIDS, der im Säug­lings­al­ter häu­figs­ten Todes-„Ursache”.

Schlaf­la­ge

Bereits in ers­ten Ver­öf­fent­li­chun­gen in den 1970er Jah­ren, ver­stärkt jedoch seit den 1980er Jah­ren, wird in der inter­na­tio­na­len Lite­ra­tur über Beob­ach­tun­gen berich­tet, daß Säug­lin­ge, die in Bauch­la­ge schla­fen, ein erhöh­tes SIDS-Risi­ko auf­wei­sen. Die mitt­ler­wei­le zahl­rei­chen Stu­di­en zur Bauch­la­ge wur­den von uns nach den Metho­den einer Meta-Ana­ly­se gesich­tet, die Ein­zel­er­geb­nis­se gra­phisch dar­ge­stellt (Abbil­dung 1) und die Effekt­schät­zer (Odds Ratio) der Ein­zel­stu­di­en nach dem Man­tel-Haens­zel-Ver­fah­ren zu einem Gesamt­schät­zer zusammengefaßt.

Ins­ge­samt 19 in der Lite­ra­tur ver­öf­fent­lich­te Stu­di­en konn­ten in die Meta-Ana­ly­se ein­be­zo­gen wer­den, wobei die frü­hes­ten Stu­di­en ihre Ergeb­nis­se zur Bauch­la­ge häu­fig nicht als zen­tra­le Erkennt­nis­se dar­stel­len. In Abbil­dung 1 ist in einer halb­log­arith­mi­schen Ska­lie­rung für jede Stu­die die Odds Ratio (Rau­te) als Schät­zer des Rela­ti­ven Risi­kos zusam­men mit ihrem 95%-Konfidenzintervall (Bal­ken) gra­phisch dar­ge­stellt. Trotz z. T. erheb­li­cher Varia­tio­nen zwi­schen den Ein­zel­stu­di­en errech­net sich über alle 19 Stu­di­en ein Rela­ti­ves Risi­ko von 3,5 mit einem sehr schma­len 95%-Konfidenzintervall von 3,16 bis 3,88 (rot gefärb­ter Bereich). Das bedeu­tet, daß Kin­der, die in Bauch­la­ge schla­fen, ein 3,5mal so hohes SIDS-Risi­ko tra­gen wie Kin­der, die nicht in Bauch­la­ge schlafen.

Abbil­dung 1: Meta-Ana­ly­se von 19 ver­öf­fent­lich­ten Stu­di­en zum Zusam­men­hang zwi­schen Bauch­la­ge und Plötz­li­chem Säug­lings­tod (MH = Man­tel-Haens­zel, 95%CI = 95%-Konfidenzintervall).

Die­se weit­ge­hen­de Über­ein­stim­mung zwi­schen allen Stu­di­en deu­tet sehr stark dar­auf hin, daß der Zusam­men­hang zwi­schen Bauch­la­ge und SIDS mit hoher Sicher­heit kein Arte­fakt ist, son­dern in der Ätio­lo­gie des Plötz­li­chen Säug­lings­to­des eine bedeu­ten­de Rol­le spielt. Dabei ist es zunächst uner­heb­lich, über wel­chen bio­lo­gi­schen Mecha­nis­mus Bauch­la­ge und SIDS asso­zi­iert sind, solan­ge mit die­sen Ergeb­nis­sen ein beein­fluß­ba­rer Risi­ko­fak­tor bekannt ist, über den die Inzi­denz des Plötz­li­chen Säug­lings­to­des prä­ven­tiv ver­rin­gert wer­den kann. Inzwi­schen sind in vie­len Län­dern öffent­li­che Inter­ven­ti­ons­kam­pa­gnen durch­ge­führt wor­den, um die Prä­va­lenz der Bauch­la­ge als bevor­zug­te Schlaf­la­ge von Säug­lin­gen zu sen­ken. Die Wirk­sam­keit sol­cher Maß­nah­men wur­de in wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en unter­sucht [z.B. Pon­son­by 1984] und eine deut­li­che Reduk­ti­on der Bauch­la­gen-Prä­va­lenz belegt. Mit dem Rück­gang der Bauch­la­ge wur­de ein gleich­sin­ni­ger, erheb­li­cher Rück­gang der SIDS-Inzi­denz um 50% und mehr in ver­schie­de­nen Län­dern beob­ach­tet [Spiers 1994, Gil­bert 1994]. Auch in Deutsch­land ist die Inzi­denz des Plötz­li­chen Säug­lings­to­des auf deut­lich unter 1 pro 1000 Lebend­ge­bo­re­ne gesunken.

Schluss­fol­ge­run­gen

Auch wenn die Iden­ti­fi­zie­rung der Bauch­la­ge als Risi­ko­fak­tor des Plötz­li­chen Säug­lings­to­des zunächst zu sehr kri­ti­schen Dis­kus­sio­nen geführt hat und bis heu­te auch bei den Risi­ko­fak­to­ren der Peri­na­tal­zeit vie­le ätio­lo­gi­sche Fra­gen offen­blei­ben, ist die wis­sen­schaft­li­che Evi­denz für die beschrie­be­nen Zusam­men­hän­ge mitt­ler­wei­le über­zeu­gend. Wei­te­re For­schungs­an­stren­gun­gen sind jedoch nötig, um die patho­ge­ne­ti­schen Mecha­nis­men bes­ser ver­ste­hen, Kin­der mit erhöh­tem SIDS-Risi­ko ein­deu­tig iden­ti­fi­zie­ren und die Gefahr des Plötz­li­chen Säug­lings­to­des von ihnen abwen­den zu können.

Lite­ra­tur

  1. Arnold K. Kinds­tö­tung und Kin­der­sterb­lich­keit. In: Bau­tier RH, Bie­der­mann HM (eds). Lexi­kon des Mit­tel­al­ters, Bd 5. Mün­chen: Arte­mis 1991.
  2. Arnon SS. Breast fee­ding and toxi­ge­nic intesti­nal infec­tions: miss­ing links in crib death? Rev Infect Dis 1984; 6 (Sup­pl 1): 193–201.
  3. Berg­mann AB, Beck­wi­th JB, Ray CG (eds). Sud­den infant death syn­dro­me. Pro­cee­dings of the second inter­na­tio­nal con­fe­rence of sud­den deaths in infants. Seat­tle: Uni­ver­si­ty of Washing­ton Press, 1970.
  4. Black L, David RJ, Brouil­let­te RT, Hunt CE. Effects of birth weights and eth­ni­ci­ty on inci­dence of sud­den infant death syn­dro­me. J Pediatr 1986; 108: 209–214.
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  7. Klee­mann WJ, Trö­ger HD, von der Hardt H, Stro­gies U, Schuck M. Epi­de­mio­lo­gie des plötz­li­chen Kinds­tods in Nie­der­sach­sen. Nds Ärz­tebl 1989 (1): 8–12.
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  10. Poets CF, Schlaud M, Klee­mann WJ, Rudolph A, Diek­mann U, Sens B. Sud­den infant death and ciga­ret­te smo­king: results from the Lower Sax­o­ny Peri­na­tal Working Group. Eur J Pediatr 1995; 154: 326–329.
  11. Pon­son­by A‑L, Dwy­er T, Kasl SV, Coch­ra­ne JA, New­man NM. An assess­ment of the impact of public health acti­vi­ties to redu­ce the pre­va­lence of the pro­ne slee­ping posi­ti­on during infan­cy: The Tas­ma­ni­an cohort stu­dy. Prev Med 1994; 23: 402–408.
  12. Schlaud M, Klee­mann WJ, Poets CF, Sens B. Smo­king during pregnan­cy and poor ante­na­tal care: two major pre­ven­ta­ble risk fac­tors for sud­den infant death syn­dro­me. Int J Epi­de­mi­ol 1996; 25: 959–965.
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Schlaud M. Epi­de­mio­lo­gie des Plötz­li­chen Kinds­tods (SID). In: Sater­nus K‑S, Kari­mow S (eds). Säug­lings­sterb­lich­keit, Plötz­li­cher Kinds­tod (SID). Lübeck: Schmidt-Röm­hild; 1998.


Vor­schlä­ge zur Unter­stüt­zung von SIDS betrof­fe­ner Familien

Wert­vol­le Vor­schlä­ge zur Unter­stüt­zung vom Plötz­li­chen Säug­lings­tod betrof­fe­ner Fami­li­en durch pro­fes­sio­nel­le Helfer/​innen in der Akut­si­tua­ti­on bie­tet ein immer noch aktu­el­ler Betrag von Jut­ta Hel­me­richs et al. Die Vor­schlä­ge stüt­zen sich auf Erfah­run­gen und Erkennt­nis­se aus der Bera­tungs­ar­beit mit betrof­fe­nen Eltern und hin­ter­blie­be­nen Geschwistern.

Den voll­stän­di­gen Arti­kel kön­nen Sie beim Deut­schen Ärz­te­blatt her­un­ter­la­den. Die wich­tigs­ten Hin­wei­se und Vor­schlä­ge lau­ten kurz zusammengefasst:

Medi­zi­ni­sche Ersthelfer/​innen sollten…
  • die Eltern bei Reani­ma­ti­on und Todes­fest­stel­lung nicht ausgrenzen,
  • den fest­ge­stell­ten Tod in ein­deu­ti­gen Wor­ten mitteilen,
  • die Todes­art „unge­klärt” und den Poli­zei­ein­satz erklären,
  • ers­te Infor­ma­tio­nen zum Plötz­li­chen Säug­lings­tod geben,
  • über die lang­fris­tig ent­las­ten­den Aspek­te einer Obduk­ti­on sprechen,
  • das Abschied­neh­men ermög­li­chen und der Fami­lie dabei Zeit lassen,
  • auf beru­hi­gen­de Medi­ka­men­te verzichten,
  • die Mut­ter zum Abstil­len beraten,
  • auf hin­ter­blie­be­ne Geschwis­ter­kin­der ach­ten und eingehen,
  • bei Zwil­lin­gen auf kli­ni­sche Sym­pto­me des Zwil­lings­kin­des achten,
  • die Fami­lie nicht allein zurücklassen,
  • auf die bun­des­weit orga­ni­sier­ten Orga­ni­sa­tio­nen wie Eltern­selbst­hil­fe GEPS, Bundesverband Verwais­te Eltern, Initia­ti­ve Regen­bo­gen oder ande­re Hil­fen (z. B. ört­li­che Seelsorger/​innen oder die Tele­fon­seel­sor­ge) hin­wei­sen.

Hel­me­richs J, Ben­te­le KHP, Klee­mann WJ, Poets CF, Sater­nus KS. Plötz­li­cher Säug­lings­tod: Vor­schlä­ge zur Unter­stüt­zung betrof­fe­ner Fami­li­en in der Akut­si­tua­ti­on. Dt Ärz­tebl 1996; 93 (9): A519-A522.

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